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Wie ich ein Künstler wurde

 

Ich glaube, ich war gerade 25 oder war es sogar ein Donnerstag, da fiel mir die Wahrheit in den Schoß. Nun, es war nicht gleich die ganze Wahrheit und eigentlich auch kein wirklich bedeutender Teil von ihr, vielmehr war es die plötzliche Erkenntnis darüber, dass es eine Wahrheit gibt. Und das diese sich von dem, was ich bis dahin angenommen hatte, was die Wahrheit sei, sehr deutlich unterschied. Als ich das zu erkennen begann, wurde mir bewusst, dass die Welt, die mich umgab, so schien es, einzig und allein dazu erschaffen war, von der von mir erfahrenen Wahrheit, abzulenken. Wie ein ausgeklügeltes System, in dem alles seine Aufgabe und seinen Platz hat, die Schule, die Universität, das Gerede der Menschen, das Fernsehen... Alle so schien es, zogen an einem Strang und verbogen, wenn auch in verschiedene Richtungen, die Wahrheit so sehr, dass das Ergebnis völlig natürlich aussah und sich so auch kaum einer `nen Kopf machte, was eigentlich geschah. Ja, wenn wir einfach mal nachdenken, so scheint es auch jetzt völlig plausibel wozu alles dient. Es ist völlig logisch, die Schule ist zum Lernen da, die Uni zum Studieren, die Menschen unterhalten sich zum Zweck der Kommunikation, der Fernseher dient der Information und Unterhaltung... Aber haben wir wirklich selbst nachgedacht? Eigentlich wissen wir das eben Geschriebene doch einfach so und wer hat es uns beigebracht? Genau eben diese, die Schule, das Gerede der Menschen, die Uni, das Fernsehen. Raffiniert!

Da stand ich also mit meiner Erkenntnis oder besser ich ging, bis ich plötzlich stehen blieb und die Worte: „Alles ist falsch rum!!!“ vor mich her murmelte.  In der Folge ließ mich die, für mich neue Erkenntnis (die, was wichtig ist, nichts mit einem dazugekommenen Wissen zutun hat), nicht mehr los. Und ich verzweifelte fast an ihr, denn immer wenn ich, in der mich umgebenden Welt Halt suchte, fand ich den, in dem Wissen, dass alles was ich mir da gedacht hatte, völliger Blödsinn sei und war schnell beruhigt. Bis ich eben wieder begann selber nachzudenken, was mich zu dem immer gleichen Schluss brachte: die Wahrheit steht Kopf!

Dann versuchte ich, die Wahrheit zu formulieren, um irgend etwas in der Hand zu haben. Ich versuchte, anderen davon zu berichten, doch es gelang mir nicht. Es war wie verhext. Ich erzählte stundenlang und die Leute hörten mir auch gerne stundenlang zu, um zum Schluss genau wie ich, vor der Frage zu stehen, um was es hier eigentlich geht. Erst viel später kam ich zu der Einsicht, das man die Wahrheit nicht nennen kann, geschweige denn sie jemanden erklären. Na ja, eigentlich kam ich nicht zu der Einsicht, sondern lediglich zu dem Wissen, das es nicht funktioniert, sonst würde ich es ja heute nicht immer noch so emsig versuchen. Warum es aber nun nicht zu erklären war, ist auch klar, denn ein Erklärungsversuch ist nichts weiter, als das „Gerede von Leuten“. Und wenn das Wort einzig und allein zum Verbiegen der Wahrheit dient, so ist ja normal, dass sich die Wahrheit selbst damit nicht darstellen lässt. Aber auch jene Einsicht half mir wenig, denn ich musste mich erklären. Es war unmöglich. einfach so zur Tagesordnung überzugehen, denn nach dieser ersten Erfahrung begleitete mich die Wahrheit ständig und in meiner Umgebung stellte sich der absolute Kontrast dazu dar, wie kalt und heiß und ich war in dem hoffnungslosen Versuch gefangen diese beiden so verschiedenen Welten an- oder sogar auszugleichen. Alles half nichts. Ich versuchte es später auch mit Gleichnissen. Ich hatte ein paar ganz tolle, z. B. mit einem Apfel, der selbst die einzige Antwort auf die Frage: „Wie ist der Apfel?“ ist. Manchmal zählte ich einfach gesellschaftlich unumstrittene Sachverhalte auf, die unter der Oberfläche völlig schizophren waren, in der Hoffnung, man würde bei einer Menge von bekloppten Teilen auf ein beklopptes Gesamtsystem schließen können. Aber alles blieb wie gehabt, denn es war ja nichts weiter als das „Gerede von Leuten“.

Das ich heute noch nicht im Irrenhaus gelandet bin, verdanke ich vielleicht den Künstlern und Philosophen, die im Prinzip alle genau das gleiche Kommunikationsproblem hatten und haben. Denn erst als ich von selbst zur Wahrheit gelangt bin, habe ich erkannt, wo die Energie für all die Theaterstücke, Bücher, Bilder und Sprüche herkommt, die ich vorher für reine Unterhaltung zum Zweck der Selbstdarstellung gehalten habe. Was mir aber im Grunde auch nicht viel weiter hilft, bis auf die Tatsache, dass ich wohl doch nicht so alleine bin. Was ja immerhin etwas ist!

Und heute sage ich zu meinen Beispielen, die mittlerweile recht zahlreich sind: "Kunstwerk", was mich zum "Künstler" macht. Das klingt toll und wenn die lästige Frage nach dem Beruflichen gestellt wird, sage ich einfach: "Ich bin Künstler" und die Leute bekommen Angst weiterzufragen.

 

 

 
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